Das am 20. Januar 2022 veröffentlichte Gutachten über sexuellen Missbrauch im Bereich der Erzdiözese München und Freising wurde sowohl von den Gutachter*innen als auch von der Öffentlichkeit als eine „Bilanz des Schreckens“ und eine „Bankrotterklärung“ für die kirchliche Missbrauchsaufarbeitung wahrgenommen. Es erschüttert die Glaubwürdigkeit des Klerus in ihren Grundfesten.

Dieses Gutachten darf für die Erzdiözese München und Freising, aber auch für die katholische Kirche insgesamt, nicht ohne Folgen bleiben.

Insbesondere das Versagen von Joseph Ratzinger, dem ehemaligen Erzbischof von München und Freising, langjährigen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre und Papst bzw. emeritiertem Papst, erscheint auf der Grundlage des Gutachtens noch fataler als zuvor. In seiner im Gutachten dokumentierten Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hat Joseph Ratzinger sexuellen Missbrauch Minderjähriger auf geradezu dreiste Weise verharmlost. Unverzeihlich ist, was in seiner Amtszeit als Erzbischof (nicht) geschah. Mit seiner unerträglichen Umdeutung von missbräuchlichen Handlungen vergreift er sich – jetzt persönlich – an den Betroffenen und macht sie erneut zu Opfern. Wir erwarten, dass Joseph Ratzinger in Anbetracht dessen auf die Verwendung seines päpstlichen Namens sowie seiner damit verbundenen Titel und Insignien verzichtet.

Wir fordern alle Verantwortungsträger des Erzbistums München und Freising, denen im Gutachten Fehlverhalten in Bezug auf sexuellen Missbrauch nachgewiesen wurde, auf, persönliche Konsequenzen zu ziehen. Wir sind der Meinung, dass keine dieser Personen in ihrer derzeitigen Position verbleiben kann. Wir halten es für geboten, dass sie auf alle Ämter, Funktionen und Ehrentitel, die sie aktuell innehaben, ebenso verzichten wie auf alle damit verbundenen Einkünfte. Dabei sollte es sich um eine tatsächliche Verantwortungsübernahme handeln und nicht um eine scheinheilige Verantwortungsdelegation, wie sie aus früheren Rücktrittsangeboten, die dann am Ende nicht angenommen wurden, in kaum erträglicher Erinnerung ist.

Nicht nur im Erzbistum München und Freising, sondern überall leugnen immer noch Verantwortungsträger ihre Mitschuld an den Missbrauchstaten. Immer noch versuchen sie, die Institution Kirche zu schützen und ihre eigene Position zu retten, und halten so an der Unmenschlichkeit des Systems der Amtskirche fest.

Wir von Maria 2.0 sind daher der festen Überzeugung, dass personelle Konsequenzen allein nicht genügen. Würden lediglich Personen ausgetauscht, bliebe das System dasselbe und würde sogar noch bestätigt. Nachdem von den Gutachter*innen festgestellt wurde, dass die systemischen Ursachen von Missbrauch in all ihren Formen längst bekannt sind, bislang aber nicht beseitigt wurden, verlangen wir eine sofortige Reform der patriarchalen, undemokratischen und intransparenten kirchlichen Machtstrukturen.

Maria 2.0 Deutschland
23. Januar 2022